Handelsblatt, 9. Februar 2001


"JUSTITIAS NEUE FREUNDE"

Eine Hand voll Anwälte, dazu eine Sekretärin - so sah Ende der 80er-Jahre eine normale Rechtsanwaltskanzlei in Deutschland aus. Wenn es hoch kam, gab es noch einen Kanzleivorstand, der sich um die Verwaltung kümmerte. Heute sind Sozietäten wie Freshfields Bruckhaus Deringer oder Linklaters Oppenhoff & Rädler mittelständische Unternehmen mit jeweils mehr als 300 niedergelassenen Anwälten.
    Die alten Strukturen werden radikal weggefegt, die neuen integrieren "fremde" Berufsbilder: "Waren früher Personal, EDV, Marketing noch Zusatzaufgaben für den einzelnen Partner, so wäre das heute bei der Größenordnung der Kanzleien ziemlich ineffizient", sagt Ulrich Horstschäfer, der - obwohl Jurist - als Leiter der Pressestelle von Branchenprimus Linklaters Oppenhoff & Rädler selbst zu Justitias neuen Freunden gehört.
    Mit Unternehmensfunktionen wie Finanzen oder Controlling kommen Volks- und Betriebswirte an Bord. Der Aufbau eigener Wissensverwaltungen und die notwendige datentechnische Vernetzung der Büros schaffen Arbeitsplätze für Computerspezialisten. Personalfachleute werden allein schon wegen der wachsenden Mitarbeiterzahlen gebraucht. Und nicht zuletzt halten Marketing und Pressearbeit Einzug, denn der Wettbewerbsdruck wächst und das Standesrecht ist gelockert worden.
    Die Professionalisierung des Managements und damit die Professionalisierung der zuarbeitenden Service-Abteilungen scheinen unaufhaltsam. Zumindest auf die Großen der Branche sieht das Horstschäfer zukommen, da sich bei ihnen "eine pyramidenartige Struktur" wie in fast jedem Unternehmen entwickle. Was hat diesen Drang zur Größe ausgelöst? 1989 war nicht nur das Jahr des Urknalls für den deutschen Anwaltsmarkt: Ein Urteil des Bundesgerichtshofs macht erstmals die überörtliche Rechtsanwaltsassozietät möglich. Das Verbot der Zweigniederlassung war damit hinfällig. Die Folge war ein Konzentrationsprozess, der in drei Wellen anrollte: Zusammenschlüsse fanden zunächst auf überregionaler, dann auf nationaler Ebene statt. Und seit zwei Jahren machen internationale Fusionen Schlagzeilen.
    Beteiligt sind überwiegend angelsächsische Kanzleien wie Freshfields (484 zugelassene Anwälte in Großbritannien), die im vergangenen Jahr gleich mit zwei deutschen Kanzleien aus der Oberliga fusionierten: im Januar 2000 mit Deringer Tessin Herrmann & Sedemund (99 niedergelassene Anwälte in Deutschland) und im August mit Bruckhaus Westrick Heller Löber. Ein anderes Beispiel ist Vlifford Chance (922 niedergelassene Anwälte in Großbritannien), die mit Pünder, Volhard, Weber & Axster (205 niedergelassene Anwälte in Deutschland) zusammengingen.
    Die nichtjuristischen Akademiker in Stabsfunktionen wie Personal, IT oder Marketing können in Zukunft rund fünf Prozent der Mitarbeiter einer Kanzlei ausmachen, sagen Experten - Tendenz steigend. Dr. Christoph Kuhmann, Partner von BBLP Beiten Burkhard Mittl & Wagnener und dort zuständig für Personal, verweist darauf, dass die Mandanten nicht mehr für die Lernkurve der Anwälte zahlen wollen. Deshalb sei es wichtig durch IT-gestützte Wissensverwaltung allen BBLP-Anwälten (mittlerweile auch knapp 200) den Zugriff auf das kanzlei-interne Know-how zu erleichtern.
    Nachholbedarf sieht Dr. Burkhard Bastuck, Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer, speziell im Bereich Marketing und Presse, Der Jurist schätzt, dass künftig auf 50 Anwälte eine Marketingkraft kommen könnte. Einige Kanzleien nennen den Bereich auch Business-Development und verstehen darunter alles vom Personalmarketing bis zur Kundenpflege inklusive Pressearbeit. Bastuck glaubt allerdings nicht, dass sich die Situation vollkommen der in den USA oder Großbritannien angleichen werde, wo in Marketing und Presseabteilungen von Anwaltskanzleien 20 bis 30 Leute arbeiten.
    Auch der Frankfurter Statthalter von Cleary Gottlieb, Thomas Buhl, sieht das Thema Öffentlichkeitsarbeit von deutschen Kanzleien noch stiefmütterlich behandelt. Dabei ist es schwer, passende Leute zu finden. In klassischen PR-Agenturen gibt es sie in der Regel nicht, weil dort der Schwerpunkt auf Produktmarketing liegt. Auf dem Anwaltsmarkt dürfte man jedoch nicht nur flotte Sprüche klopfen meint Dr. Jochen Mignat. Das gelte als anrüchig und sei deshalb kontraproduktiv. Der Jurist Mignat hat sich vor einigen Jahren mit einer auf den Anwaltsmarkt spezialisierten PR-Agentur selbständig gemacht.
    Vorbild ist das amerikanische Beratungsunternehmen Levick Strategic Communications, das zunehmend auch in Deutschland operiert. Nach eigenen Aussagen betreut Levick mit 22 Mitarbeitern ein Fünftel der größten Kanzleien der Welt. Eine Spezialität ist es, Sozietäten im Ausland einzuführen. Richard Levick, der Präsident der transatlantischen PR-Agentur, geht davon aus, dass in Deutschland die Anwaltswerbung zunehmen wird. Er spricht von Brandmarketing, also der Positionierung einer Kanzlei als Marke. Die Kunden würden im internationalen Transaktionsgeschäft lieber mit weltweit bekannten Sozietäten zusammenarbeiten als mit nur national bekannten Kanzleien.
    Brandmarketing hält auch einer der Düsseldorfer Repräsentanten der amerikanischen Law Firm Shearman & Stearling, Dr. Hans Jürgen Meyer-Lindemann, für eines der Top-Themen. Er glaubt, dass die großen, weltweit bekannten Advokatenmultis Mandate von deutschen Kanzleien abgezogen hätten. Sein Beleg: Shearman & Sterling ist in zehn Jahren von einer Niederlassung mit vier Anwälten auf knapp 100 Anwälte angewachsen. Sicher nicht zufällig war Shearman & Stearling eine der ersten Kanzleien in Deutschland, die einen Pressereferenten einstellten.
    Die Suche nach Kaufleuten, Informatikern oder Journalisten würde der Branche sicher weniger Kopfzerbrechen bereiten, wenn sie an einer anderen Front Ruhe hätten: der Rekrutierung der juristischen Nachwuchses. Doch gute Juristen sind trotz Juristenschwemme Mangelware. Im Kampf um Talente sagen deutsche Kanzleien den ausländische Wettbewerbern raue Methoden nach. Rau, aber erfolgreich heißt es beispielsweise über Chlifford Chance, denen es gelungen sei, vor mehreren Jahren ein größeres Team - von bis zu elf Juristen ist die Rede - aus der Kanzlei Wessing & Berenberg Gossler herauszubrechen.
    An diesem Personalkarussell drehen spezialisierte Beratungsunternehmen wie BerzConsult oder TMP QD Legal kräftig mit. Astrid Gerber, Redakteurin bei JuVe, einem Kölner Fachverlag für juristische Informationen, bezeichnet den Prozess des Personalaufbaus als Verkettung: Einer der Treiber sei sicher die zunehmende Größe der Kanzleien, doch auch der Druck aus anderen Branchen und die größer gewordene Transparenz auf dem Anwaltsmarkt zwängen die Kanzleien, sich um Personalmarketing zu bemühen.
    JuVe hat selbst erheblich zur Transparenz beigetragen: Seit drei Jahren bringt der Verlag die erste detaillierte Übersicht der Wirtschaftskanzleien in Deutschland heraus. Nach Aussagen Gerbers recherchieren 16 festangestellte Journalisten über den Anwaltsmarkt - neue Berufswege auch hier.